
Longevity Meets Ageism
Der Begriff „Longevity” hat in den letzten Jahren stark an Aufmerksamkeit gewonnen. Er hat sich zu einem Synonym für Aktivitäten entwickelt, die zu einem gesünderen und längeren Leben beitragen.Ich bin ihm erstmals im Jahr 2015 begegnet. Bei einem Meeting der AARP in Washington D.C. wurde der erste „Longevity Economy Report” vorgestellt. Wie der Name erahnen lässt, ging es dabei um die wirtschaftlichen Auswirkungen, die die gestiegene Lebenserwartung mit sich bringt. AARP, die weltweit größte Interessengesellschaft für Ältere, hatte diesen Bericht erstellt, da die absehbaren Veränderungen durch alternde Gesellschaften in der Öffentlichkeit auf wenig Interesse stießen. Ziel war es Wirtschaft und Politik aufzufordern, mehr und schneller in Sachen „Alterung der Gesellschaft“ zu unternehmen, denn alternde Gesellschaften verändern jeden Sektor: Wohnen, Mobilität, Arbeit, Konsum und natürlich das Gesundheits- und Rentensystem.
Lange leben in einer Gerontokratie
Diese Veränderungen betrachten viele Jüngere mit Sorge. Gerade in Wahljahren, also in Zeiten der Machtverteilung, sind die Sorgen vor einer Gerontokratie groß. Schlagzeilen wie „The voting dead“ oder „Alarmstufe Beige“ machen die Runde. Junge Erwachsene fühlen ihre Interessen nicht ausreichend vertreten, da die Älteren die Macht in ihren Händen halten. Auch um die ganz jungen steht es nicht gut. In seinem Buch Kinder – Minderheit ohne Schutz schreibt der Soziologe El-Mafaalani: „Unsere alternde Gesellschaft ist weder kindergerecht noch gerecht zu Kindern.“ Im öffentlichen Diskurs über eine alternde Gesellschaft sind all diese Bedenken und Sorgen relevante Themen. Gleichzeitig steigt der individuelle Wunsch, noch länger und gesünder zu leben, der wiederum die Alterung der Gesellschaft verstärken wird.
Risiken und Nebenwirkungen
Es ist absolut legitim und verständlich, dass sich Menschen im Sinne von Longevity um ein gesünderes und längeres Leben bemühen. Ich tue es auch. Ich rauche nicht mehr, trinke weniger Alkohol und esse weniger Fleisch. Regelmäßiges Training verbessert meine Leistungsfähigkeit beim Boxen und natürlich gehe ich zu Vorsorgeuntersuchungen. Auch wenn es um meine Longevity gut steht, stellen sich mir Fragen: Wer will und wer braucht mich, wenn ich alt bin? Was tue ich in den gewonnenen Jahren und was kann ich mir in den Extrajahren noch leisten?
Bemerkenswert – oder eher bedauerlich – an unserer alternden Gesellschaft ist nämlich die hohe Altersdiskriminierung, die auch als Ageism bezeichnet wird. Sie führt u.a. dazu, dass ältere Menschen nur noch geringe Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Hinzu kommt, dass in Zukunft viele Entscheidungen durch KI getroffen werden, deren Trainingsdaten altersdiskriminierende Tendenzen aufweisen. Die WHO warnt bereits vor „Ageism in artificial intelligence for health“.
Was jetzt zu tun ist
Ob wir unsere gesunden Extrajahre genießen können liegt in unseren Händen! Es reicht nicht nur die persönliche Gesundheit zu verbessern, wir müssen auch das Denken und Handeln zum Alter ändern. Unseres und das der Gesellschaft. Haben wir selbst einen „Age Bias“? Ja, zu 100%
Jede:r von uns hat implizite Vorurteile gegen Ältere. Die Frage ist, wie bewusst uns diese sind und wie wir ihnen entgegenwirken. Gleichzeitig dürfen wir Altersdiskriminierung nicht mehr tolerieren. Wir müssen laut werden wie schon bei Sexismus, Rassismus und Antisemitismus!
Zudem muss das mediale Altersbild wahrgenommen und kritisiert werden. Seit 2000, wenn nicht noch länger, bebildern Zeitungen, TV-Sender und Online-Medien Beiträge zum Thema Rente stets mit demselben Motiv: „Senioren in beiger Kleidung auf Parkbank“. Auch in der Werbung kommen die Alten stereotyp daher. Die Motive zeigen wahlweise pflegebedürftige Greise oder bärtige, tätowierte 60-Jährige auf ihrer Harley. Wir brauchen realistische Altersbilder, wie sie Getty Images gemeinsam mit AARP in den USA umgesetzt hat. Die „The Disrupt Aging® Collection“ bietet alltägliche Motive, die dabei helfen, Klischees zu durchbrechen sowie altersbedingte Vorurteile zu bekämpfen. Als Autoren, Podcaster, Speaker, Influencer, Unternehmer, und als Mensch können wir Vorbild für ein realistisches Altersbild und gegen Altersdiskriminierung sein.
Wir alle wollen und können länger leben. Es fehlt eine Gesellschaft, die für Menschen jeden Alters lebenswert ist. Diese müssen wir gestalten, gerade für unser future self.
Vorheriger Artikel Nächster Artikel