Nudging statt Nachos - die Wissenschaft des Selbstmanagements

Als Schmerzmediziner begegnet mir häufig ein scheinbar unlösbares Problem:

- Wer sich nicht ausreichend bewegt, bekommt irgendwann Schmerzen. 

- Wer Schmerzen hat, kann sich schlechter bewegen. 

- Wer sich aufgrund Schmerzen wenig bewegt, hat erst recht Schmerzen.

Und nun? Klar, man muss den Anfang aus dem Teufelskreis herausschaffen. Aber wie?

Die folgenden, evidenzbasierten Impulse zur Prävention und Sekundärprävention zeigen, wie Verhaltensökonomie und Digitalisierung beim Überwinden des „Schweinehundes“, nicht nur bei Schmerzen, unterstützen können.

Stell Dir vor, Du musst Dein aktuelles Auto für den Rest Deines Lebens fahren!

Was würdest Du tun? Vollgas schon nach dem Kaltstart? Inspektionen versäumen? Den falschen Kraftstoff tanken? Das Auto monatelang stehen lassen?  Vermutlich nicht, oder? Aber warum behandeln dann viele Menschen Ihren Körper genauso, wie sie es ihrem Auto nicht zumuten würden? Schließlich können wir den auch nicht austauschen. Eine Antwort: Das Auto sagt uns, wann es Zeit für eine Inspektion wird und wir bemerken zudem unmittelbar die Folgen, wenn wir Benzin statt Diesel tanken. Bei uns selbst unterliegen wir aber dem „Present Bias“, also der Tendenz, die Gegenwart stärker zu bewerten als die Zukunft. Deswegen denken wir, dass wir schon aufhören mit dem Rauchen, bevor es uns schadet oder uns ab nächster Woche nun wirklich gesünder ernähren. Wie können wir uns und anderen besser also helfen?

1. Gewohnheit schlägt Motivation

Ein Tag in der Woche könnte zu einem Saft- und Gemüsefastentag werden. Joggen oder Yoga kann man so ritualisieren, dass man es immer dienstags – ohne Ausrede- macht. Alles, was wir regelmäßig tun, läuft irgendwann automatisch ab, ohne dass wir uns dazu aufraffen müssen. Oder denkst Du morgens über das Zähneputzen nach? Für alles, was noch nicht Gewohnheit ist, hilft entweder die Kopplung an bereits bestehende Gewohnheiten, wie, die Lieblingsserie nur noch auf dem Rudergerät (oder nach dem Joggen) zu schauen. Manchmal genügt auch eine Erinnerung über das Smartphone oder die Smartwatch.

2. Commitment: Versprechen verpflichtet

Noch besser lässt sich ein Vorsatz umsetzen, wenn wir uns mit Freunden zum Sport verabreden oder uns zum Rauchstopp moralisch verpflichten, indem wir möglichst vielen Menschen im Umfeld davon erzählen. Einige Programme sehen sogar schriftliche Verträge vor und es gibt eine Website (Stickk.com), auf der man einen Vertrag schließt und Geld einsetzt, das man verliert, wenn man das gesetzte Ziel nicht erreicht. Das verhaltensökonomische Prinzip dahinter heisst „Loss aversion“: Ein Verlust trifft Menschen mehr als eine in der Zukunft liegende Belohnung. Auch die Funktion vieler Smartwatches, Schrittzahlen oder Fitnessziele mit anderen zu teilen, gehört zu dieser Kategorie.

3. „Nudging statt Nachos“

Nudging (engl. für „Anstupsen“), auch „Choice Architecture“ genannt, hilft uns, bessere Entscheidungen zu treffen, indem sie einfacher werden. Länder mit einem Opt-out-Modell für Organspenden haben eine Spenderrate von 80-90%, Länder mit einem Opt-In-Modell nur 10-20%. Warum? Die Wahlfreiheit ist ja in allen Ländern erhalten! Wir sind also oft einfach zu faul, etwas umzusetzen. Daher: Die Sporttasche bereits im Auto hilft, dass man nach der Arbeit nicht Gefahr läuft, zuhause zu versacken und es schon wieder nicht zum Sport zu schaffen. Und Patienten, die zur Entlassung aus der Reha automatisch eine Rehasport-Verordnung für ein Jahr erhalten, haben es leichter, als alleine mit der Empfehlung „Sie sollten mehr Sport treiben“.

Fazit: 

Gesundes Verhalten, sei es zur Prävention, zur Therapie oder einfach für ein gesundes Leben, ist Dank menschlicher innerer Schweinehunde selbst bei gutem Willen nicht so leicht umsetzbar (in „verhaltensökonomisch“: „Intention-Behavior-Gap“).  Techniken wie Habit formation, Precommitment oder Nudging erleichtern das Leben ebenso wie digitale Funktion von ohnehin genutzten Devices. 

Der Autor ist Chefarzt für Schmerzmedizin mit Weiterbildungen u.a. in Psychotherapie und Prävention, er ist Mitgesellschafter eines Digital-Health-Unternehmens und vor allem begeisterter Verhaltensökonom. Ab 2026 bietet er Seminare zur verhaltensökonomisch optimierten Kommunikation im Gesundheitsbereich an.

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Dr. Mike Zellnig